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Engineering-Executives diskutieren Volatilität im Anlagenbau

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Ein Schlagwort zieht sich wie ein roter Faden durch die Anlagenbau-Märkte: „Volatilität“. Sei es der Ölpreis, die Politik (Russland, Syrien, Arabellion...) oder die Energiewende – noch nie war das Umfeld für den Anlagenbau so wenig vorhersagbar. „Wie müssen sich Anlagenbauer und die betreibereigenen Engineering-Abteilungen (Owners Engineers) aufstellen, damit sie von den Schwankungen nicht überrollt werden?“, lautete deshalb die Frage, der sich führende Anlagenbau-Vertreter in einer Podiumsdiskussion auf dem Engineering Summit im Dezember stellten.



Sucht man nach den Gründen für die derzeitigen Marktausschläge, dann wird relativ schnell klar, dass es zwischen den Abnehmerbranchen - sei es die Stahlindustrie, die Chemie oder die Zementindustrie - viele Unterschiede, aber auch sehr viele Gemeinsamkeiten gibt. Zu Letzteren zählen Einflussfaktoren wie das politische Umfeld, Energie- und Rohstoffpreise und der wirtschaftliche Abschwung wichtiger Absatzmärkte, darunter China. Dazu kommt der steigende Wettbewerbsdruck, beispielsweise durch Anlagenbau-Anbieter aus Asien. Verschärft werden diese übergeordneten Volatilitätstreiber durch branchenspezifische Faktoren: So berichtet Dr. Heiner Röhrl, CEO beim Stahlwerks-Anlagenbauer Primetals Technologies, über einen massiven Preisverfall bei Rohstahl: „Innerhalb von anderthalb Jahren sind die Preise um mehr als ein Drittel gefallen - jeder dritte Hochofen steht heute still." Gleichzeitig führt die Überproduktion - vor allem aus China - zu Verwerfungen am Markt: Einerseits beginnen andere Produktionsländer Importzölle zu erhöhen, andererseits geben Stahlerzeuger ihre Rohstahlproduktion auf und kaufen diesen lieber fertig im Reich der Mitte ein. „Ein Muster ist noch nicht zu erkennen", verdeutlicht Röhrl die wachsende Volatilität.

Haben sich die Spielregeln im Anlagenbau-Geschäft also grundlegend verändert? „Wir sind schon immer in zyklischen Märkten unterwegs. Wir hatten in den vergangenen anderthalb Jahrzenten einen sehr langen Zyklus, schaut man allerdings länger zurück, dann ist die aktuelle Entwicklung gar nicht so ungewöhnlich", beruhigt Jürgen Nowicki, Sprecher der Geschäftsführung bei Linde Engineering, mit Blick auf die Branchen Stahl und Petrochemie: „Ungewöhnlich ist diesmal allerdings, dass die Zyklen der unterschiedlichen Industrien fast parallel verlaufen."

In Kombination mit den politischen Krisen auf der Welt führt das beispielsweise dazu, dass Projektentscheidungen immer häufiger zunächst verschoben und dann plötzlich beschleunigt werden. „Je größer die Projekte, desto höher die Volatilität", bemerkt Nowicki. Ein einziges Anlagen-Großprojekt kann einen beträchtlichen Einfluss auf den Jahres-Auftragseingang einer ganzen Produktsparte haben.

Ein Trend, der auch von Jens-Michael Wegmann, Vorstandsvorsitzender des Geschäftsbereichs Thyssenkrupp Industrial Solutions (Tk IS), gesehen wird: „Viele Großprojekte wurden in jüngster Zeit verschoben oder zurückgestellt. Der Fokus liegt für uns deshalb auch auf kleineren Themen", bestätigt Wegmann und sieht vor allem Investitionen zur Betriebserhaltung und das Servicegeschäft als aktuelle Schwerpunkte: „Man kann die Zeit auch nutzen, um sich für den nächsten Wachstumszyklus vorzubereiten - und das machen wir."

Wie sich das zunehmend volatile Markt­umfeld in der Chemie auf die Arbeit eines Owners Engineers auswirkt, verdeutlicht Holger Sonnenschein, Head of Project Management Germany beim Chemiekonzern Lanxess: „Wir merken deutlich, dass die Reaktionszeiten bei unseren Kunden kürzer werden - Investitionen in Erweiterungsmaßnahmen müssen somit im Bedarfsfall  schneller realisiert werden."

In Zukunft ist Flexibilität im Anlagenbau gefragt
Ist die aktuelle Volatilität im Engineering-Geschäft nur eine Übergangserscheinung am Ende eines langen Aufwärts-Zyklus? Am generellen Wachstumsmarkt zweifeln die Engineering-Experten nicht. So zeigte beispielsweise Dieter Rosenthal, Mitglied der Geschäftsleitung beim Stahlwerksbauer SMS, dass die langfristigen globalen Mega­trends intakt sind: Die Weltbevölkerung wächst alle fünf Jahre um 400 Millionen Menschen und befeuert die Nachfrage in allen Industriebereichen. So rechnet der Internationale Währungsfonds IMF in seinem Ausblick vom Oktober 2015 damit, dass das Bruttosozialprodukt nach einer zwei Jahre dauernden Stagnation in 2015 und 2016 in allen Weltregionen wieder deutlich zulegen wird: Für Europa und Nordamerika geht der IMF für den Zeitraum bis 2020 von einem jährlichen Wachstum von fünf bzw. vier Prozent aus. Für China werden acht Prozent prognostiziert.

Dennoch wird die Branche nach der aktuellen Durststrecke nicht wieder zur zyklischen Normalität zurückkehren können. „In China hatten wir 30 Jahre lang eine Sonderkonjunktur - in drei Jahrzehnten ist dort die Hälfte der weltweiten Stahl-Produktionskapazität gebaut worden", stellt Heiner Röhrl fest. „Das wird sich so nicht wiederholen. Wir werden in Zukunft sehr flexibel auf Marktänderungen reagieren müssen."„Die lang anhaltende Boomphase der vergangenen Jahre war schon außergewöhnlich", bestätigt auch Jürgen Nowicki. „Im Großanlagenbau sind Verkäufer typische Großwildjäger - wenn wir heute bei Aufträgen eine Zehnerpotenz wegnehmen, hilft uns das auch", bringt Röhrl die neue Wirklichkeit auf den Punkt. Ein Aspekt den auch Jens-Michael Wegmann sieht: „Hier bedarf es eines Kulturwandels: Wir wollen ein kontinuierliches Geschäft erreichen - da kann es nicht sein, dass nur die Großwildjäger als Helden gesehen werden, sondern auch kleineres regionales Geschäft muss ins Licht gestellt werden."„In den letzten beiden Jahren ist die durchschnittliche Größe der Neuprojekte zurückgegangen, was in Bezug auf die Volatilität auch Vorteile hat. Dieser Trend wird wohl anhalten", erklärt Jürgen Nowicki. Allerdings führt der wachsende Wettbewerbsdruck dazu, dass das Auftragsvolumen auch bei neuen Konjunkturzyklen in der Regel nicht auf das alte Niveau zurück schwingt. „Wir müssen das „Normal-Null" immer wieder neu definieren", verdeutlicht Heiner Röhrl.

Servicegeschäft ist kein Allheilmittel
Doch auch dafür muss das schrumpfende Projektgeschäft in immer stärkerem Maße durch neue Produkte und Maßnahmen ergänzt werden. Wie groß die Rolle des Servicegeschäfts dabei sein kann, hängt vom Geschäftsmodell der einzelnen Engineering-Unternehmen ab. Besonders für technologieintensive Anlagenbauer wie zum Beispiel Linde erfordert der Ausbau des Service-Geschäfts ein hohes Maß an Flexibilität, zumal sich das Produktportfolio nur langfristig anpassen lässt.

„Da die Märkte nicht nur volatil sind, sondern der wirtschaftliche Ausblick auch eine Menge Unsicherheiten birgt, dürfen wir nicht mehr für den Peak planen. Die Herausforderung lautet: Wie können wir Portfolio und Manpower so aufstellen, dass wir auch mit einem schwankenden Auftragseingang zurecht kommen?", verdeutlicht auch Tk-IS-Chef Wegmann. Bei Thyssenkrupp Industrial Solutions will man dazu ein eigenes Portfolio an Serviceprodukten aufbauen und betreibernahe Dienstleistungen anbieten. „Dienstleistungen wollen wir im Wortsinne als „Service" und „Performance" verstehen: Wir dienen den Kunden, indem wir ihre Leistungsfähigkeit steigern", fasst Wegmann zusammen. Bei Linde will man dazu die Schnittstellen zu Lieferanten und Engineering-Partnern verbessern, um künftige Auftrags-Peaks durch das flexible Hinzuziehen externer Ressourcen besser bewältigen zu können. „Das geht nicht von heute auf morgen, sondern muss über Jahre vorbereitet werden", erklärt Nowicki.

Eine Strategie, die sich auch das Owners Engineering bei Lanxess zu eigen gemacht hat: Im November wurden dazu Rahmenverträge mit Engineering-Dienstleistern vergeben. „Als Anlagenbetreiber wollen wir uns auf unsere Kernaufgaben fokussieren, um so durch optimale Gestaltung der Schnittstellen und verbesserte Projektvorbereitung unser Risiko zu verringern und gleichzeitig eine kurze Anlaufzeit für Projekte erreichen - und dazu ist die Kooperation mit Partnern notwendig, die sich in unseren Anlagen und Betrieben auskennen und unsere Prozesse verstehen", verdeutlicht Holger Sonnenschein. Ein fruchtbarer Boden also für Engineering-Dienstleister.

Auch der Stahlwerksspezialist Primetals Technologies nutzt die Chancen, die strategische Partnerschaften bieten. Vor allem im Hightech-Segment für hochwertigen Stahl geht der Anlagenbauer nicht nur Verträge ein, bei denen Leistungsdaten ein wichtiger Aspekt sind, sondern hilft Commodity-Stahl-Herstellern gezielt dabei, höhere Qualitäten zu erreichen. „Das sind Projekte, bei denen man sich aus dem harten Preiswettbewerb lösen kann und die nicht vom Einkauf dominiert werden", verdeutlicht Röhrl.

Auch die Verteilung der Engineering-Aufgaben nach regionalen Schwerpunkten wird von den Anlagenbau-Unternehmen genutzt, um flexibler auf Marktschwankungen reagieren zu können. So sind beispielsweise bei Tk IS rund 3.000 Mitarbeiter und bei Linde 1.000 Engineering-Kräfte in Indien integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette. Inzwischen längst nicht mehr nur als verlängerte Werkbank für Aufgaben des Detail-Engineerings, sondern auch mit dem Auftrag, eigenes Exportgeschäft zu entwickeln.

Fazit: Die gestiegene Volatilität und der steigende Wettbewerbsdruck zwingt deutsche Großanlagenbauer, kleinere Brötchen zu backen und Komponenten im Portfolio auszubauen, die ein stetigeres Geschäft ermöglichen. Durch die Kooperation mit Engineering-Partnern wollen sich die Unternehmen flexibel für künftige Auftrags-Peaks aufstellen. Außerdem sollen mehr kleine Projekte die Volatilität im Auftragseingang abmildern. SpecialAnlagenbau012016

Entscheiderfacts
Für Planer

  • Die Volatilität im Anlagenbau ist derzeit besonders hoch, da viele Faktoren gleichzeitig wirken.
  • Anlagenbau-Unternehmen und Owners Engineers setzen auf verschiedene Maßnahmen, um flexibler zu werden.
  • Durch die Kooperation mit Engineering-Partnern wollen sich die Unternehmen flexibel für künftige Auftrags-Peaks aufstellen.

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